Kindergeschichten (German Edition) by Louise Anklam

Kindergeschichten (German Edition) by Louise Anklam

Autor:Louise Anklam [Anklam, Louise]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2011-03-30T22:00:00+00:00


Der Wunderdoktor

Am Fenster eines luxuriös ausgestatteten Zimmers saß die kleine zehnjährige Edith und schaute gelangweilt auf das muntere Treiben der Straßenjugend.

Sie war das einzige Kind sehr reicher Eltern, und wurde sehr verwöhnt, denn jeder ihrer Wünsche wurde erfüllt, wenn diese auch oft recht töricht waren. Daher kam es, daß sie an nichts Freude fand, auch nicht mehr wußte, was sie sich wünschen sollte, und nicht wie andere Kinder ihres Alters froh und heiter umhersprang. Das schlimmste aber war ihre Unlust zum Lernen, was das Herz der Eltern mit größter Besorgnis erfüllte. Alle Vorstellungen und herzlichen Bitten derselben waren bei dem verzärtelten Liebling bis jetzt erfolglos geblieben.

Von einer höheren Töchterschule wurde Edith in die andere gebracht, doch stets hatte sie zu klagen und dies und jenes auszusetzen. Bald waren es die Lehrerinnen, welche ihr nicht gefielen, bald die Mitschülerinnen, die sie ärgerten oder sich über sie lustig machten.

Hätten nur die schwachen Eltern solchen fortwährenden Klagen Strenge entgegengesetzt, dann wäre es schon anders geworden. Doch stets wurde das Töchterchen getröstet und die Lehrerinnen wurden getadelt, die es nicht verstehen sollten, mit einem so zarten, schwächlichen Kinde umzugehen.

Das war sehr wunderbar. Nicht wahr, meine lieben Leser? Ihr geht alle fleißig und gern zur Schule? Ihr wißt auch, daß es dort verschiedene Kinder gibt, solche, die alles leicht fassen und begreifen, und wieder andere, denen das Lernen schwer wird. Mit allen wissen eure Lehrer und Lehrerinnen umzugehen, sie haben euch alle gleich lieb, wenn ihr nur fleißig und folgsam seid.

Beides aber war Edith nicht, und es war daher kein Wunder, wenn die Lehrerinnen auch einmal die Geduld verloren, und Schelte und Strafe nicht ausblieben.

Die Eltern beschlossen endlich, das Töchterchen aus der Schule zu nehmen und eine Erzieherin anzustellen, von welcher es allein unterrichtet werden sollte.

Das geschah. Da sich Edith aber nicht besserte, weder fleißiger noch aufmerksamer wurde, so blieb es ganz beim alten. Weil sie ihre Erzieherinnen stets unausstehlich fand, keine von ihnen leiden mochte, so hörte auch jetzt der Wechsel nicht auf. Alle redlichen Bemühungen, das träge, verzogene Kind zu Fleiß und Aufmerksamkeit zu bekehren, blieben jetzt ebenso erfolglos wie früher, und die Erzieherinnen verließen gern eine so unfleißige und undankbare Schülerin.

So kam es, daß das verzogene Mädchen bald gar keinen Unterricht hatte und nicht wußte, wie es die Zeit hinbringen sollte.

Das beklagenswerte Kind nahm seine prachtvolle Pariser Puppe zur Hand, warf diese aber schnell wieder beiseite. Das war ihr auch zu langweilig, die ließ alles mit sich machen, lachte nicht und sprach nicht. Nein, eine Puppe ist schrecklich, wenn sie auch noch so schöne Kleider hat, dachte Edith, lieber füttere ich doch meinen Papagei. Sie nahm ein Stückchen Semmel und trat an das Bauer, aber auch der Vogel ärgerte sie heute. Zu oft hatte das Tier gehört, daß die Erzieherin in verzeihlichem Unmut »Du träges Kind« gesagt hatte, und diese Worte hatte es aufgeschnappt und nachgesprochen.

»Träges Kind!« rief er ihr auch heute entgegen. Darüber war Edith nun ganz außer sich. Bitterlich weinend setzte sie sich an das Fenster und beneidete die vorübereilenden Straßenkinder, die sich untereinander neckten und fröhlich lachten.



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